Am 16. Januar waren in vielen Qualitätsmedien servile Geburtstagsartikel zum 70. des Retters der Mauerschützenpartei SED, Gregor Gysi, zu lesen. Interessant war, was dabei alles unerwähnt blieb.
Gysi verhinderte die Auflösung der SED bei ihrem letzten Parteitag im Dezember 1989 in Berlin, zu der die Mehrzahl der Delegierten unter dem Schock des Mauerfalls und des rapiden Autoritätsver- lustes der Partei, entschlossen war. Gysi überzeugte vor allem mit dem Argument, dass dann das Vermögen verloren gehen würde. Um welche gewaltigen Summen es sich handelte, war damals den Parteimitgliedern gar nicht klar.
Gysi wurde zum letzten Parteivorsitzenden der SED gewählt, verpasste ihr den Zweitnamen PDS – Partei des demokratischen Sozialismus – und gründete als erste Amtshandlung eine Arbeitsgruppe zur Sicherung des Parteivermögens.
In der 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages recherchierte ein Untersuchungsausschuss geschätzten 24 Milliarden DM verschwundenem DDR-Vermögen hinterher. […]
Ebenso wenig wurde Gysi nach seiner Rolle befragt, die er bei der Abschiebung von Bürgerrechtlern spielte, die am 17. Januar 1988 verhaftet wurden. […]
Wie wir inzwischen aus den 1992 geöffneten Stasiakten wissen, plante die Staatssicherheit an diesem Tag einen „Enthauptungsschlag“ gegen die DDR-Opposition, die sich in den 80er Jahren unter dem Dach der Evangelischen Kirche entwickelt hatte. Die etwa 3000 Aktivisten in etwa 100 Gruppen hiel- ten die Staatsorgane seit Jahren mit immer kühner werdenden Aktionen in Atem.
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Größte Massenverhaftung in DDR-Geschichte
Der Plan misslang gründlich. Zwar war die Verhaftung von 105 Menschen innerhalb weniger Stunden, die wohl größte Massenverhaftung in der DDR-Geschichte seit dem Arbeiteraufstand 1953, ein großer Schock. Es gab aber sehr schnell in mehr als 30 Städten und Gemeinden der DDR allabendliche Soli- daritätsveranstaltungen in Kirchen. Die größte fand in Berlin statt. Zu der kamen nicht nur Berliner, sondern auch die in der DDR akkreditierten Westjournalisten, die dafür sorgten, dass über die Pro- teste gegen die Masseninhaftierung in aller Welt berichtet wurde.
Der politische Druck wurde so groß, dass der ursprüngliche Plan, die verhafteten Bürgerrechtler vor Gericht zu stellen und mit dem absurden Vorwurf des „Verrats“ hinter Gitter zu bringen, nicht durch- führbar war. Partei- und Staatschef Erich Honecker war gezwungen, auf einer internationalen Presse- konferenz verkünden zu lassen, dass bis zum 5. Februar 1988 alle Inhaftierten aus der Haft entlassen werden würden. Warum diese Verzögerung von 10 Tagen? Plan B war die Abschiebung der Oppositio- nellen in den Westen.
In diesem Stadium kamen die Anwälte der Bürgerrechtler ins Spiel, zu denen neben Lothar de Mai- zière und Wolfgang Schnur auch Gregor Gysi gehörte. Alle Anwälte handelten im Sinne des Stasi-Ab- schiebeplans. Die Verhafteten, die im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen in Isolationshaft ge- halten wurden und keinerlei Nachricht erhielten, was in der Welt draußen vor sich ging, waren auf ihre Anwälte als Informationsquelle angewiesen. Sie erfuhren nichts von der gewaltigen nationalen und internationalen Solidaritätsbewegung. Statt dessen behaupteten die Anwälte die Aussichtslosigkeit der Lage und drängten auf Ausreise.
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Gysi hat durch eine Unmenge von Prozessen erreicht, dass Fragen nach seiner Stasimitarbeit nicht mehr gestellt werden. Die Feststellung des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestages von 1998, dass die Stasimitarbeit des Abgeordneten Gysi erwiesen sei, kann man im Internet nachlesen. Aber kein Qualitätsjournalist und kein Rechercheverbund interessiert sich dafür.
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Der Beginn der Montagsdemonstrationen in Leipzig
Um den Bericht nicht so pessimistisch enden zu lassen, muss ich noch erzählen, warum der „Enthaup- tungsschlag“ der Stasi zum Schwinger unter das eigene Kinn wurde.
In Leipzig hatten sich allabendlich die Menschen zum Protest in der Nikolaikirche versammelt. Als alle Bürgerrechtler aus dem Gefängnis entlassen waren, beschlossen viele der Teilnehmer, den „Montags- kreis“ der Nikolaikirche zu verstärken. Von diesem Montagskreis wurden 1989 die Montagsgebete ini- tiiert, die bald so viel Zulauf erhielten, dass nicht mehr alle Leute, die teilnehmen wollten, in die Kirche hineinkamen. Am 4. September 1989 waren etwa 3500 Menschen in der Kirche und ebenso viele standen davor.
[…] Das war die erste Montagsdemonstration. Am 9. Oktober 1989 waren schon 100 000 Demon- stranten unterwegs. Außerdem hatten sich die Demonstrationen auf mehr als dreißig Städte und Ge- meinden ausgebreitet. Einen Monat später fiel die Mauer.
Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die Massenverhaftungen am 17. Januar 1988 der erste Nagel im Sarg der DDR-Diktatur waren. Warum sollte es also unmöglich sein, auch eine Gesinnungs- diktatur loszuwerden?
http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/die-massenverhaftungen-am-17-januar-1988-in-ostberlin-waren-der-erste-nagel-im-sarg-der-ddr-a2324386.html?latest=1